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Ein Denkmal, aber wofür?

In die Konjunktur, die Filmprojekte zum Thema Nationalsozialismus derzeit ganz besonders haben, platzt wie eine der vielen Granaten, die den Sound dazu begleiten, DER UNTERGANG mit dem Bruch eines Tabus: Der Film zeigt Hitler als Hauptfigur eines deutschen Films. Bruno Ganz spielt ihn. Die Handlung beschränkt sich auf die letzten Tage im Führerbunker vor dem Selbstmord des "Führers" mit Eva Braun und ist damit eigentlich ein Remake, denn dieselbe Zeit versuchte bereits G. W. Pabst in seinem 1955 gedrehten Film DER LETZTE AKT zu rekonstruieren. Dabei stützte sich Pabst auf dieselbe Quelle über diese letzten, nur spärlich dokumentierten Tage: Hitlers Sekretärin Traudl Junge. DER UNTERGANG entspricht tatsächlich in vielen Details, selbst in Dialogzeilen, dem, was Traudl Junge in der 2002 herausgekommenen Dokumentation IM TOTEN WINKEL erzählt. Immer wieder wird im Zusammenhang mit den Themen Nationalsozialismus und Schoa die Frage aufgeworfen: Kann man die wahre Dimension des absolut Bösen, das Hitler und sein Regime repräsentieren, filmisch umsetzen? Darf man es überhaupt versuchen? Oder ist nicht die Gefahr zu groß, den gegenteiligen Effekt zu erzielen und Hitler zum netten alten Herrn, oder, noch schlimmer, zum Helden zu stilisieren? Sich daran erinnern ist wichtig. Film hält Erinnerung wach. Das gibt auch dem UNTERGANG eine gewisse Legitimität. An die Wirkung, die die schlichten Bilder der Doku mit Traudl Junge haben, kommt er trotz des Großaufwands nicht annähernd heran. Zu sehr bleibt er Beschreibung, zu wenig ist er Kommentar. Nur Bruno Ganz hat verstanden, dass man das Monster Hitler in eine Sphäre der Irrealität verschieben muss. Er übertreibt die Marotten, wo es geht. Doch auch die Realität der Traudl Junge und der anderen hätte es verdient gehabt, sich ihrer mit mehr Gespür anzunehmen. DER UNTERGANG beginnt und endet mit je einem Statement der Traudl Junge aus IM TOTEN WINKEL. Diese Doku kann alles, was dem UNTERGANG misslingt. Da sitzt diese Frau und berichtet von ihrer jugendlichen Verblendung, in der sie damals Hitler verehrte. Was sie sich vorzuwerfen hat, wiegt nicht einmal so schwer. Trotzdem hat sie ihr Leben lang darunter gelitten. Sie verkörpert das schlechte Gewissen der Deutschen par excellence. Traudl Junges dichte Erzählung und die unleugbare Tatsache, dass hier eine Augenzeugin spricht, gibt IM TOTEN WINKEL die Authentizität, nach der sich alle immer sehnen. Ihre Sprache vermittelt uns, was sie gesehen hat und erzeugt die Bilder vor unserem inneren Auge, die DER UNTERGANG bloß nachstellt. Traudl Junges Authentizität und ihre Haltung sollen für DER UNTERGANG reklamiert werden, doch scheitert der Versuch einer wörtlichen Nacherzählung an der Fiktionalität jedes Spielfilms. Der Horror, den Hitlers menschenverachtende Aussagen eigentlich vermitteln müssten, geht im UNTERGANG ins Leere. DER UNTERGANG ist ein Spektakel wie vor ihm SCHINDLERS LISTE. Doch das ist nun einmal die visuelle Sprache unserer Zeit. Wenn kaum noch jemand liest, geschweige denn sich die vielen Dokus ansieht, die über den Nationalsozialismus oder die Schoa gedreht wurden, sind solche Filme ein Instrument, mit dem auch die erreicht werden, die sonst sofort den Sender wechseln. Es ist traurig, aber wahr: besser DER UNTERGANG als gar keine Malaise. DER UNTERGANG D 2004 Drehbuch und Produktion: Bernd Eichinger R: Oliver Hirschbiegel Darsteller: Bruno Ganz, Alexandra Maria Lara, Corinna Harfouch, Ulrich Matthes, Juliane Köhler, Matthias Habich, Heino Ferch, Christian Berkel u.a. 150 Min. www.untergang.film.de
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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