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Sterblich sein: Genug! Es ist genug!

Der US-amerikanische Millionär Bryan Johnson hat laut Auskunft seiner (vielen) Ärzt:innen Herz, Lunge und Haut, deren biologisches Alter zum Teil wesentlich jünger ist, als der restliche Körper des heute 46-Jährigen. Mit einem strengen Ernährungs- und Fitnessplan will Johnson beweisen, dass es möglich ist, das Altern aufzuhalten, ja sogar rückgängig zu machen. Das proklamiert er jedenfalls in seinem Buch "Don't Die", mit dem er eine breite Anhängerschaft gewonnen hat.

Der Traum vom ewigen Leben treibt die medizinische Forschung voran und so seltsame Blüten wie die Idee, unser Bewusstsein in der Cloud zu speichern. Bis dahin muss sich die Menschheit wohl oder übel mit der Endlichkeit des Lebens auseinandersetzen. Das tut sie schon seit vielen tausend Jahren in kulturellen und religiösen Riten, denn wir sind wahrscheinlich die einzigen Lebewesen dieser Erde, die sich ihrer Sterblichkeit bewusst sind.

Die Kunst hat dieses Unvermeidliche auf vielerlei Art dargestellt: Vom Schrecken des Todes, zu seiner Verherrlichung bis zum unerbittlichen Kampf dagegen, wie z.B. die französische Künstlerin Orlan mit ihrer „Petition gegen den Tod“. In schwarzer Schrift auf intensivem Rot ruft sie mit einem "GENUG! ES IST GENUG!" dazu auf, „gegen den Tod vorzugehen“.

Ein ganzer Stapel von Plakaten für diese Petition liegt aktuell im Dom Museum Wien zur freien Entnahme auf. Rundherum gruppieren sich Kunstwerke, die sich der Thematik unserer Vergänglichkeit auf vielschichtige Weise annähern. Das Museum, dessen Existenz sich auf die römisch-katholische Kirche gründet, deren zentrale Botschaft die Überwindung des Todes durch das Sterben Jesu Christi am Karfreitag und seiner Auferstehung am Ostersonntag ist, richtet seinen Blick jedoch nicht auf das paradiesische „Jenseits“, oder das Versprechen des „ewigen Lebens“, sondern setzt mit dem Titel „sterblich sein“ bei den Lebenden und ihrem Umgang mit der Bewusstheit über die Unausweichlichkeit des Todes im Diesseits an.

Das Thema ist in der aktuellen westlich geprägten Hochleistungs-, Selbstoptimierungs- und Konsumgesellschaft aus dem Blick geraten, denn der persönliche Umgang mit dem Tod und vor allem den Toten wird uns von Institutionen, vom Hospiz bis zu den Bestattungsunternehmen, abgenommen. Das allgegenwärtige Sterben in Katastrophen und Kriegen lässt sich durch den medialen Filter der Sozialen Medien schneller verdrängen.

Kuratorin und Direktorin Johanna Schwanberg und Ko-Kurator Klaus Speidel teilen die Ausstellung in fünf Kapiteln künstlerischer Auseinandersetzungen, die von der oben erwähnten Empörung über den Kampf dagegen, den Möglichkeiten des Erinnerns bis zu versöhnlichen Konzepten des Übergangs in eine andere Form des Seins reichen.

Zu sehen ist da etwa ein Foto des Schriftzugs THE END, den sich Timm Ulrichs 1981 auf sein rechtes Augenlid tätowieren ließ, Zeichnungen über und vor allem gegen den Tod von Margret Bilger, Alfred Kubin und Herwig Zens und der „Triumph des Todes“ von Jan Brueghel dem Jüngeren, der von einer Wandzeichnung Nikolaus Gansterers eingerahmt wird, die liebevoll-ironisch mit Begrifflichkeiten des Todes spielt. Ausdrucksstarke Dramatik versprüht die beinahe lebensgroße holzgeschnitzte Kreuzabnahme des Barockbildhauers Giovanni Giuliani, während daneben die Pietà von Sam Jinks, in der ein Sohn einen (toten?) Elternteil in den Armen wiegt, eine intrinsische Ruhe ausstrahlt. Es ist das Changieren zwischen persönlicher Betroffenheit und distanzierter künstlerischer Auseinandersetzung, das die besondere Spannung der Ausstellung ausmacht – so wie in Ramesch Dahas Werkgruppe „Unlimited History-Sigmund Klein“ in der sie ihre Recherchen zu ihrem von den Nazis ermordeten Stief-Urgroßvater darlegt. Sein Bild bleibt ebenso ungreifbar wie jenes des Todes selbst, wenn auch viele der tradierten „Knochenmänner“ in der Ausstellung zu sehen sind, bis hin zu Manfred Erjautz‘ Skelett, das mit einer Hand vor den Augenhöhlen im Blindflug über die Köpfe der Besucher:innen rauscht.
Man ist versucht, angesichts der eigenen Sterblichkeit ebenfalls die Augen zu verschließen, ein ausführlicher Blick in die Ausstellung lohnt sich trotzdem auf jeden Fall.

Mehr Texte von Werner Remm

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Sterblich sein
06.10.2023 - 25.08.2024

Dom Museum
1010 Wien, Stephansplatz 6
Tel: +43 1 515 52 3300, Fax: +43 1 515 52 2599
Email: info@dommuseum.at
http://www.dommuseum.at/
Öffnungszeiten: Mi, Fr, Sa, So 10-18, Do 10-20 h


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