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Soforthilfe für Künstler*innen jetzt!

Für Politiker scheint es die größte Horrorvorstellung zu sein, ihre großzügig zur Verfügung gestellte Soforthilfe könnte von dem einen oder anderen freischaffenden Künstler ohne echte existenzielle Not abgegriffen werden. Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat zwar wiederholt schnelle und unbürokratische Hilfe für Künstler und andere Selbständige versprochen (--> siehe Peter Altmaier im Deutschlandfunk), denen gerade die Einnahmen wegbrechen, aber im gleichen Zug mit erhobenem Zeigefinger gemahnt, diese dürfe nicht mit der Gießkanne erfolgen. Nur mit dieser Angst oder vollkommener Hilflosigkeit angesichts einer Situation, die nicht im Handbuch aufgeführt ist, sind die bürokratischen Hürden zu erklären, die in den angekündigten oder bereits aktiven Programmen in Deutschland und Österreich errichtet werden. Um an bis zu 2.000 (NRW) oder 5.000 Euro (Berlin, Österreich) zu kommen, müssen Antragsteller nachweisen, dass ihnen Aufträge oder Engagements weggebrochen sind. Schriftlich, in Form von Verträgen und Absagen. So diese nur mündlich bestehen, werden auch nachträglich erstellte Bestätigungen der Auftraggeber akzeptiert.

Ein Blick in die --> aktuellen Änderungen im österreichischen Künstler-Sozialversicherungsfondsgesetz, die Hinweise des --> Künstler-Sozialversicherungsfonds selbst, des nordrhein-westfälischen --> Ministeriums für Kultur und Wissenschaft  oder der --> Berliner Senatsverwaltung offenbart wenig praktikable Ansätze. 

Die Fiktion bestehender Vertragsverhältnisse, die gekündigt werden, so dass sich daraus ein konkreter Verdienstausfall ableiten lasse, mag auf fest frei angestellte Mitarbeiter an öffentlichen Theatern zutreffen. Die meisten freiberuflichen Künstlerinnen und Künstler dürften jedoch Einzelunternehmer sein, die Aufträge per Zuruf erhalten. Wie soll ein Theaterkritiker nachweisen, dass er einen Auftrag für die Rezension einer Premiere in drei Wochen erhalten hätte, wenn der Redaktionsplan erst an dem entsprechenden Montag gemacht wird? Wie soll eine Malerin nachweisen, dass sie ein Bild verkaufen würde, wenn die Galerieeröffnung nächste Woche stattfände?

Für Deutschland rechnet das Arbeitsministerium --> Medienberichten zufolge mit über einer Million zusätzlichen Anträgen auf Kurzarbeitergeld und Mehrausgaben von rund 10 Milliarden Euro. Die Anträge werden jedoch nicht von jedem Betroffenen selbst gestellt, sondern von ihren Arbeitgebern; bearbeitet werden sie in einem standardisierten Prozess von der Serviceagentur für Arbeit mit ihren insgesamt knapp 100.000 Bediensteten (Vollzeitäquivalent). Für die neuen Soforthilfen für Künstler hingegen sind die jeweiligen (Landes-) Ministerien zuständig. Wie und in welchem Zeitraum sollen die darauf nicht vorbereiteten Stellen die Anträge etwa der knapp 200.000 Versicherten der deutschen Künstlersozialkasse überprüfen und bearbeiten?

Die --> Künstlersozialkasse selbst verweist auf ihrer Homepage gar gleich auf das Arbeitslosengeld und erklärt: „Um Missverständnissen vorzubeugen, möchten wir an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Künstlersozialkasse keine Zahlstelle für Entschädigungen oder Ausfallhonorare ist und entsprechende Anträge nicht entgegennehmen kann.“

Das stimmt, die Rechtslage gibt das nicht her, und die winzige Behörde mit ihren wenigen Dutzend Sachbearbeitern wäre damit auch heillos überfordert.

Möglich und sehr schnell umzusetzen wäre es jedoch, allen, die über Künstler-Sozialversicherungsfonds und Künstlersozialkasse versichert sind oder Zuschüsse zur Sozialversicherung beziehen, eine Einmalzahlung zur Überbrückung durch den Bund zukommen zu lassen. Das muss nicht viel sein und kann nach Einkommen gestaffelt erfolgen. Wer nur 1.000 Euro im Monat verdient, dem können 2.000 Euro für die nächsten Monate das Dach über dem Kopf sichern. Wer sechsstellig im Jahr verdient, kommt vielleicht auch so über die Runden. Wichtig ist, dass jetzt – im Sinne von sofort – geholfen wird und nicht erst nach Prüfung von Anträgen, die die Erfüllung von Bedingungen einfordern, die in der Realität ohnehin nicht einzuhalten sind. Das --> Durchschnittseinkommen der Versicherten in der Künstlersozialkasse lag zum Stichtag 1. Januar 2019 übrigens bei 17.852 Euro. Es mag durchaus sein, dass vielleicht jemand versucht sein könnte, sich von der Soforthilfe ein Handy oder eine Gießkanne zukaufen, doch besonders wahrscheinlich ist das nicht. Und welcher Empfänger von Kurzarbeitergeld wird danach gefragt, wofür er oder sie die staatlichen Leistung ausgibt?

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Abbildung: Carl Spitzweg, Der arme Poet, 1839, Bearbeitung: artmagazine

Mehr Texte von Stefan Kobel

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