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Maurizio Cattelan - Turisti: Vergiftete Tauben schauen...

Da sitzen sie und lugen auf die Besucher des Theseustempels herab. 15 Tauben bevölkern bis zum 6. Oktober den spätklassizistischen Bau im Wiener Volksgarten. Sie sitzen fein säuberlich aufgereiht auf den hohen Simsen, eine hat es sich gar unter der Oberlichte gemütlich gemacht. Man ist versucht, in die Hände zu klatschen, um die besonders beim Denkmalschutz verhassten Viecher aus dem Tempel zu treiben, um die Schäden, die ihr aggressiver Kot an Denkmälern und Bauwerken anrichtet zu verhindern. Doch die Vögel bleiben unbeeindruckt vom Treiben tief unter ihnen, denn sie wurden schon vor nunmehr 22 Jahren vergiftet oder sonst wie zu Tode gebracht, im Auftrag des italienischen Künstlers Maurzio Cattelan.

Der war im Jahr 1997 von Germano Celant in den italienischen Pavillon auf der Biennale von Venedig geladen worden. Einen Monat vor der Eröffnung fand er dort keinen white cube, sondern nur Tauben und deren Mist im Ausstellungsraum vor. Also beließ Cattelan den Dreck einfach am Boden und orderte 2000 ausgestopfte Tauben, die als Turisti dem Kunstpublikum den Touristenwahnsinn in Venedig vor Augen führen sollten. Die Touristen in der Lagunenstadt sind in der Zwischenzeit wohl mehr geworden und Vogelschar zerstreute sich in verschiedene Kunstsammlungen. Kleinere Taubentreffen gibt es seitdem in diversen Ausstellungen rund um den Globus, u.a. 2011 nochmals auf der Biennale von Venedig, wo es sich mehr als 200 Tiere wieder im zentralen Pavillon gemütlich machen konnten - diesmal unter dem Titel The Others. Ihre ursprüngliche Eindringlichkeit konnte die Installation schon damals nicht mehr entfalten. Wer sollten diese „Anderen“ im Kunstpavillon sein? Etwa jener Teil der Venedig-Besucher*innen, der sich eben nicht für den zeitgenössischen Kunsthype interessiert und das Treiben gelangweilt mitverfolgt, oder gar Flüchtlinge, deren Anwesenheit heutzutage und speziell hierzulande (wieder) mit Ratten und Ungeziefer verglichen wird? Man hätte von dem „Hofnarren“ der Kunstszene, der mit seinem von einem Meteor erschlagenen Papst Johannes Paul II. (Die neunte Stunde, 1999) oder einem Adolf Hitler auf Knien in Kindergröße (Him, 2001) Skandale provoziert hatte, ein schärferes Statement erwartet. Cattelan jedenfalls zog sich bald danach aus dem Kunstbetrieb zurück und trat erst 2016 mit seinem goldenen Klo (America, 2016) im Guggenheim Museum in New York wieder mit einem neuen Werk in Erscheinung.

Im Theseustempel gibt es also keine neue Arbeit des Künstlers zu sehen. Die Ausstellung kam auch nicht aufgrund einer direkten Einladung an Cattelan zustande, sondern ist Teil einer Kooperation zwischen dem Kunsthistorischen Museum und der Fondazione Prada in Mailand, in deren Sammlung sich die 15 in Wien zwischengelandeten Tauben befinden. Und auch ihren alten Titel Turisti trägt die Installation nun wieder. Die Anordnung der Tauben in Wien sei aber von Cattelan höchstselbst erarbeitet worden, betont Kurator Jasper Sharp. Trotzdem mag sich einem der Sinn der Ausstellung jenseits eines kurzen Schmunzelns nicht wirklich erschließen. Ja, Wien ist eine Stadt mit vielen Touristen, was sich aber im Vergleich zu Venedig als weit weniger störend erweist und Georg Kreislers „Tauben vergiften im Park“ passt eher zu den lebenden Tauben, die sich unter den Büschen des Volksgartens tummeln. Letzen Endes ist Turisti wohl einfach das, was es ist: eine ehemals ortsspezifische Installation, die vom Kunstmarkt filetiert und aufgesaugt wurde, und nun konserviert und ausgestopft von einem Museum ausgestellt wird.

Mehr Texte von Werner Rodlauer

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Maurizio Cattelan - Turisti
24.04 - 06.10.2019

Theseustempel
1010 Wien, Volksgarten
https://www.khm.at
Öffnungszeiten: täglich 11-18 h


Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
ja eh-
bitteichweisswas | 14.05.2019 07:48 | antworten
aber trotz "Filetierung" eine schönes, dezentes, ironisches, immer aktuelles statement- und schliesslich ist auch der (Künstler) Name Programm... ;-)

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