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Lauren Greenfield - Generation Wealth: Bling-Bling

Wer sich hierzulande noch immer darüber wundern sollte, wie so ein Luftikus wie Donald Trump es tatsächlich schaffen konnte, genug Menschen davon zu überzeugen, ausgerechnet ihn zum Präsidenten zu wählen: Hier findet er eine Antwort darauf. Lauren Greenfield ist eine berühmte Dokumentarfotografin und laut New York Times die „führende Chronistin der Plutokratie“, ursprünglich ein rein amerikanisches, mittlerweile aber auch ein globales Phänomen. Mit Generation Wealth, einem 500 Seiten starken Bildband mit dazugehöriger Ausstellungstour, hat sie ein Fazit ihres mittlerweile ein Vierteljahrhundert währenden Schaffens gezogen. Und auch wenn man Teile davon schon kennt, weil diese als Fotostrecken in Magazinen erschienen sind, und trotzdem man sich durchaus gewappnet wähnt, weil einen andere Erzeugnisse der amerikanischen Populärkultur – man denke dabei etwa an die Filme Sofia Coppolas, namentlich Somewhere und ganz besonders The Bling Ring – mit dem Thema des Starkults und seinen oftmals absurden Auswüchsen vertraut gemacht haben: Das, was man hier in dieser unvergleichlichen, aber damit eben auch so erschreckenden Dichte zu sehen bekommt, trifft einen doch mit einer Wucht, die einen schaudern macht.

Dabei hatte alles noch ganz harmlos begonnen. Greenfield, die in Harvard eigentlich Anthropologie studiert hatte, war nämlich Anfang der 1990er Jahre, nach einem kurzen Engagement bei National Geographic, nach Los Angeles, wo sie ihre Jugend verbracht hatte, zurückgekehrt, weil sie nicht das Exotische, sondern ein ihr vertrautes Milieu mit der Kamera erkunden wollte. Und dieses Milieu glaubte sie an ihrer alten High School (mit vielen Schülern mit Hollywood-Background) gefunden zu haben. Doch dort hatte, wie überhaupt in der Jugendszene der Stadt, ein Kulturwandel stattgefunden: Geld war nun die alleinige Währung, die über den Status einer Person entschied, und der Reichtum wollte natürlich auch dementsprechend ausgestellt werden, mit einer Limo-Fahrt zum U2-Konzert, mit einem Nose Job, mit einer Bar Mizwa in einem angesagten Nachtklub am Sunset Boulevard, Go-go-Tänzerinnen inklusive. Damals sorgten diese Bilder noch für gehöriges Aufsehen, alleine schon deswegen, weil die Dokumentarfotografie bis dahin eigentlich immer nur die unteren Klassen in den Blick genommen hatte, des einfacheren Zugangs wegen; wer zum old money gehörte, hatte nämlich nicht vor, im Laufe seines Lebens öfter als drei Mal in der Zeitung zu stehen: Geburtsanzeige, Hochzeit, Nachruf, das war’s. Aber mit new money war Dezenz einfach nicht zu haben, nicht in sozialer Hinsicht, und noch weniger in ökonomischer; denn new money folgte der durch und durch unbescheidenen Maxime Gordon Gekkos in Wall Street (1987): „Gier ist gut, Gier ist richtig, Gier funktioniert“, jenes Gordon Gekko, der von Oliver Stone eigentlich als Zerrbild konzipiert war, den allerdings nicht wenige als Vorbild missverstanden.

Und auf welch fruchtbaren Boden diese Worte fielen, wie sehr diese Philosophie des Mehr (für mich) sich allmählich in den Köpfen der Menschen, auch der einfachen, einnisten konnte, das malt uns nun Greenfield in grellen Bildern aus, die dem Protz ein wirklich herzerfrischendes Denkmal setzen: wenn sie uns etwa mit „Limo Bob“ bekanntmacht, dem selbsternannten Chicagoer „Limo King“, der an seinem adipösen Körper stolze 15 kg Gold trägt und ihn dazu in einen bodenlangen Pelzmantel – ein Geschenk Mike Tysons! – hüllt; oder uns an dem Geschicke der Siegels teilhaben lässt, er Immobilienmogul à la Trump, sie ehemalige Schönheitskönigin im permanenten Shopping-Wahn, denen beim Versuch, das größte Eigenheim Amerikas in die Landschaft zu pflanzen (mit bescheidenen elf Küchen und einer Garage für dreißig Wagen), dummerweise die Finanzkrise 2008 in die Quere kam, die ihren Traum vom überdimensionierten Glück zur halbfertigen Ruine stutzte.

Aber man verstehe recht, auch wenn das aus europäischer Perspektive vielleicht nicht ganz leichtfällt: Greenfield übt hier keine explizite Gesellschaftskritik, sondern betreibt, als gelernte Anthropologin, eine ernsthafte ethnographische Studie, für die sie sich den Menschen mit ehrlichem Interesse und wahrscheinlich sogar Empathie nähert, ohne je das Ziel zu verfolgen, diese irgend bloßzustellen. Sie ist ganz einfach fasziniert von diesen leicht fremdartigen Wesen, so wie wir als Betrachter ihrer Bilder ja auch; und doch kann man, gerade als jemand, der mit den Americana nicht ganz so vertraut ist wie Greenfield selbst, vermutlich nicht umhin, auch noch andere Reaktionen zu zeigen: Verstörung, Neid (darf sein, aber nur kurz), Selbstekel (wegen des kurzen Neidanfalls), Abscheu, Dünkel. Der Dünkel rührt vor allem daher, dass die Porträtierten – im Rahmen von Interviews, die Greenfield parallel durchführt – sich immer auch selbst erklären dürfen und diese Chance dann nicht selten ausgiebig nutzen, jeden Zweifel darüber zu zerstreuen, sie könnten jemals von Skrupeln geplagt werden oder dem Größenwahn, der sich in den Bildern ungehindert Bahn bricht, auch nur die kleinste Prise Ironie beigemischt haben. Wenn dann also etwa Limo Bob, der ja ein Limo King sein will, sich ohne Umschweife mit dem King of Rock ’n’ Roll sowie dem King of Pop in eine Reihe stellt und davon schwadroniert, eines Tages einen Film machen zu wollen, in dem ein Typ namens Limo Bob eine Reihe von Abenteuern zu bestehen hätte, aus denen er natürlich siegreich hervorgehen würde (und man sich für einen ganz kurzen Augenblick der ziemlich schmerzhaften Vorstellung hingibt, ein Scorsese, dessen Schaffenskraft altersbedingt ja auch schon etwas nachlässt, würde tatsächlich einen Film namens Limo Driver drehen, mit Limo Bob, der doch eher wie die schlechte Karikatur eines Zuhälters wirkt, as himself) – ja dann ist es vielleicht schon angebracht, diese himmelschreiende Hybris mit gehörigem Spott in die Schranken zu weisen.

Limo Bobs Traum von der cineastischen Krönung seiner Person führt aber doch eines vor Augen: Es genügt den Menschen heute nicht mehr, bloß Reichtümer anzusammeln, sie wollen für diese Leistung mittlerweile auch bekannt sein; oder ihre irgendwie erreichte Berühmtheit in Bares ummünzen, das ist dann beispielsweise der Ansatz hinter all den Casting-Shows, ein weiteres Symptom unserer Zeit. Diesen Wunsch nach Anerkennung, der wohl niemandem fremd ist, haben aber die sozialen Medien ins Unendliche gesteigert, die uns im gesellschaftlichen Kommunikationsmodell in die Lage versetzt haben, nun auch alle Sender – und nicht mehr nur Empfänger – von Botschaften sein zu können, uns also potentiell zu den Herren unseres medialen Schicksals aufzuschwingen. Viele arbeiten daher obsessiv an ihrer eigenen Bildwerdung, ist doch das Bild die Leitwährung in der Post-Gutenberg-Galaxis, und das mit zum Teil verheerenden Folgen: Magerwahn, Schönheitswahn, Jugendwahn etc. Und hier wird es dann wirklich gruselig, wenn sich beispielsweise eine 6-jährige Kinder-Schönheitskönigin in laszive Posen wirft, die einer ausgewachsenen Animierdame gut anstehen würden, biedere Hausfrauen sich in Pole-Dance-Kursen tummeln (okay, das ist dann eher amüsant denn gruselig) oder Cathy, eine 31-jährige Schulbusfahrerin aus einem Nest in Virginia, sich einer kosmetischen Rundumerneuerung, besonders aber einem „Brazilian butt lift“ unterzieht. Wobei all diese Grotesken sich zu einem eigenen Thema verdichten, das sich subliminal durch die ganze Ausstellung zieht: Wie Frauen sich unter der strengen Herrschaft des Geldes zu einem schönen Beiwerk oder einem sexuellen Spielzeug verdinglichen (lassen), das sich der Mann, so er es sich leisten will, dann kurz einmal gönnt. Eine Sicht der Dinge, die dem Feminismus gewiss nicht gefallen kann.

Mehr Texte von Peter Kunitzky

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Lauren Greenfield - Generation Wealth
30.03 - 23.06.2019

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