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Rachel Whiteread: Wucht und Zartheit vergangener Zeiten

Rachel Whiteread, eine der prägnantesten Künstlerinnen der Gegenwart, ist derzeit eine umfassende Personale im belvedere 21 gewidmet. Die britische Künstlerin des Jahrsgangs 1963 zeigt Werke aus dreißig Jahren ihres künstlerischen Schaffens.

Die Ausstellung ist eine Gemeinschaftsproduktion mit der Tate Britain, wo sie bis Jänner 2018 zu sehen war, und der National Gallery of Art in Washington, in der die Ausstellung von Mitte September 2018 bis Mitte Jänner 2019 gezeigt wird.

Betritt man die untere Halle des belvedere 21, so ist man mit der seriellen Skulptur twentyfive spaces von 1995 konfrontiert. Sie ist vor einer weißen Wand platziert an der drei Pappmachéwände aus der Arbeit Chicken Shed hängen (2017). Der gesamte Abguss des „Hühnerstalls“ ist im Pfirsichgarten des Oberen Belvedere zu sehen.

Schon in diesem Atrium erschließt sich der gesamte künstlerische Kosmos von Rachel Whiteread. Von der Malerei her kommend, studierte sie an der Slade School of Fine Arts Bildhauerei, wo sie 1987 ihren Abschluss machte. Ihr Ansinnen Innenräume, Luft, darin Gelebtes sichtbar zu machen, versuchte sie schon sehr früh an Hand von Plastiken umzusetzen. Das Verfahren dazu war der Abguss. So geschah dies auch bei den twentyfive spaces. Sie goss den Raum zwischen den Stuhlbeinen unterhalb der Sitzfläche mit farbigem Kunstharz aus und verlieh ihm damit eine Form. Die unterschiedlichen Farben des Harzes, seine unterschiedliche Tönung und Dichte machten die Arbeit trotz Volumen durchscheinend aber nicht schwerelos. 1)

Nicht nur formale Fragen zu Innen(räumen) beschäftigten Whiteread sondern auch unsichtbar Erinnertes und Verschüttetes interessierte die Künstlerin. Sie suchte nach einer adäquaten Form der künstlerischen Darstellung.

1990 goss Whiteread die Negativform des Salons eines alten viktorianischen Hauses in der Archeway Road 486 im Norden von London ab. Whiteread mietete den Bau 1990 von einer Non Profit Organisation und begann den Salon inklusive Kamin und gelebten Spuren an der Wand händisch abzugießen. Die Negativform wurde zur massiven Betonplastik und war 1990 erstmals in London zu sehen. Der Innenraum des Salons bekam so mit all seinen Ereignissen eine Form und wurde fast unzerstörbar „eingefroren“. Im Jahr 2004 erfuhr sie, nachdem die daraus resultierende Arbeit „Ghost“ in der National Gallery in Washington aufgestellt worden war, von der ehemaligen Besitzerfamilie Whatley. Der überlebende Neffe stammte so wie ihre Familie aus der Mittelschicht und lebte ähnlich wie sie in diesem durchmischten Viertel von Arbeitern und Bohemiens.

Die Arbeit „Ghost“ ist auch im belvedere 21 zu sehen und hat als Gegenstück den „Room 101“ von 2003. Damals goss Whiteread einen Raum im alten BBC-Gebäude ab, der als Inspiration für George Orwells Schreckenskammer in seinem Roman „1984“ diente. Während das Leben und Leiden der Familienmitglieder Whiteread und Whatley in „Ghost“ positiv besetzt wird, ist „Room 101“ ein dunkles Symbol für den zerstörerischen Totalitarismus.

Wie sehr einige Arbeiten Whitereads eine Endgültigkeit, Monumentalität und manchmal auch eine Morbidität ausstrahlen, war immer wieder Thema von Kunstkritiken, so auch von Rosalind Krauss, die die Abgüsse der Künstlerin mit der Fotografie „als eine Art traumatische Totenmaske“ verglich. Als „Totenmasken“ kann man Teile ihrer Arbeit sicherlich verstehen. Ein Trauma ist darin aber nicht immer eingeschlossen.

Im belvedere 21 werden aber auch frühe und späte Versuche in kleinerer Form gezeigt, die sich nicht so eindeutig mit Vergänglichkeit beschäftigen. So zu verstehen ist die „Torso“- Reihe ab 1992, in der Whiteread Wärmeflaschen in Kunstharz, Dentalgips, Gummi oder Beton - oft auch in unterschiedlichen Farben - abgießt. Diese Werke sind eine Möglichkeit für Whiteread, Materialien und ihre Wirkungsweisen gewissenhaft zu erforschen.

Zuletzt sei noch auf den besonderen Wienbezug der Künstlerin verwiesen. Seit 2000 steht Rachel Whitereads Holocaust Mahnmal für die mehr als 65.000 ermordeten Wiener Juden und Jüdinnen am Judenplatz in Wien.
Diese Arbeit, die an die Innenseite einer Bibliothek erinnert, resultiert nicht aus einem Abdruck eines bestehenden Gebäudes. Kein bauliches Vorbild hätte man für ein Mahnmal der Ermordeten der Shoa abgießen können. Vielmehr handelt es sich um ein verdichtetes Monument aus Beton in Erinnerung an ermordetes und vernichtetes Leben. Die Arbeit vermittelt eine starke gedankliche Präsenz der Toten des Holocaust.

Die umfassende Personale in belvedere 21 gibt einen guten Einblick in die unterschiedlichen Arbeitsweisen der Künstlerin, insbesondere auch die neueren kleineren Formate, die nach der riesigen Installation Embankment (2005) in der Turbinenhalle in der Tate Modern entstanden sind.

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1) Im Belvedere 21 ist auch die frühere Arbeit „Table and Chair“ von 1994 zu sehen, in der sie den Raum unter dem Tisch ausgoss und eine Öffnung für den abgegossenen Sesselraum schuf. Diese Abgüsse von Whiteread wurden immer wieder mit der Arbeit von Bruce Nauman„ A Cast of the Space under my Chair 1965-68“ verglichen. Sie haben aber unterschiedliche künstlerische Strategien.

Mehr Texte von Susanne Rohringer

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Rachel Whiteread
07.03 - 29.07.2018

Belvedere 21
1030 Wien, Schweizergarten/Arsenal-Straße 1
Tel: +43 1 795 57-0
Email: info@belvedere.at
http://www.belvedere21.at
Öffnungszeiten: Mi-So 10-18 h, Mi, Fr bis 21 h


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