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Günter Brus - Unruhe nach dem Sturm: Sentio ergo sum

(Ich fühle deshalb bin ich)

Im Obergeschoß des Belvedere21 sind neben frühen informellen Bildern die Fotodokumentationen der performativen Aktionen der 60er und 70er Jahre zu sehen, sowie Günter Brus’ grafische „Bilddichtungen“ der 70er Jahre bis zur Gegenwart. Neben seinen selbstverlegten Büchern und Zeitschriften wird auch Brus’ Zusammenarbeit mit dem Theater veranschaulicht. Auch seine malerische Kooperation mit Arnulf Rainer und Dominik Steiger kommen in der Ausstellung zu Wort. Kurzum: Im Belvedere 21 wird der Versuch unternommen, das gesamte künstlerische Werk des Günter Brus einem interessierten Publikum nahe zu bringen.
Herausgegriffen seien hier einige Charakterzüge des Brus`schen Oeuvres, die erklären, warum Günter Brus ein Künstler internationalen Formats ist.

1960 kam Günter Brus auf Mallorca mit dem amerikanischen Expressionismus in Berührung und begann in gestischer Manier auf dünnem Papier zu zeichnen. Er legte das Papier ähnlich wie seine amerikanischen Kollegen auf den Boden und fuhr in dynamischen Bewegungen über den Untergrund. Die Kunstströmung des Informel, das sich einer ähnlichen Methode bediente gab den ersten Versuchen von Brus recht. Schon bald aber wurde ihm der Maluntergrund zu eng und begrenzend.

In den ersten perfomativen Aktionen, „Ana“ oder „Selbstverstrickung“, die 1964/65 in Wien stattfanden, lässt Brus den engen Rahmen des Tafelbildes hinter sich und macht sich und seine Protagonisten zur lebendigen Leinwand. Die weiß grundierte Leinwand breitet er körperlich im Raum aus. Er bemalt sich und seine Frau, die auch Teil der Aktion war, mit weißer Farbe und agiert einen malerischen Exzess aus, dessen Entgrenzung und Intensität noch heute in den Fotos spürbar ist.

Dabei ging es nicht nur um den künstlerischen Ausdruck, sondern auch um den kulturpolitischen Versuch, eine biedere Demokratie die noch von den Konventionen des Nationalsozialismus durchsetzt war, in Frage zu stellen. Dabei befand sich Brus in guter Gesellschaft mit Hermann Nitsch, Rudolf Schwarzkogler und Otto Mühl für die Peter Weibel schon 1969 den Begriff des „Wiener Aktionismus“ prägte.
Dennoch hob sich Brus schon damals von der Gruppe bis zu einem gewissen Grad ab, indem er eine Art poetischen Avantgardismus pflegte wie es schon im „Wiener Spaziergang“ von 1965 zum Ausdruck kam

Einschränkend für die gesamte Gruppe war das juristische Verdikt, dass die Aktionisten für ihre Aktion „Kunst und Revolution“ 1968 im Großen Hörsaal des Neuen Institutsgebäudes ausfassten. Gemeinsam mit Otto Mühl, Oswald Wiener, Peter Weibel verrichteten sie auf der österreichischen Fahne ihre Notdurft, beschmierten sich mit Kot und Brus onanierte zur österreichischen Bundeshymne. Wegen „Verletzung der öffentlichen Sittlichkeit“ und der „Herabwürdigung der österreichischen Staatssymbole“ wurde Günter Brus verhaftet und zu einer Haftstrafe verurteilt. 1969 gelang ihm die Flucht nach Westberlin, von wo es keine Auslieferung nach Wien gab.

Die aktionistische Phase von Brus findet ihr Ende in der Aktion „Zerreißprobe“ von 1970 in München. Dabei verletzt er sich selbst – schneidet sich in Oberschenkel und Kopf – und kommt mit dieser Praxis an eine Grenze. In einem Interview viele Jahre später meint er, dass ihm 1970 bewusst wurde, dass er sich nicht nur körperlich schädigen würde, wenn er weiterhin seine Körpergrenzen ausloten würde. Er sah auch das Ende der Selbstverletzung als künstlerische Strategie. Es war eine bewusste Entscheidung, die aktionistische Performance zu verlassen und nach neuen künstlerischen Wegen zu suchen.

Zu Hilfe kam ihm dabei sein neues Leben in Westberlin. Sein Freund und Kollege Oswald Wiener betrieb dort mit seiner Frau das Lokal „Exil“ in Kreuzberg. Gerhard Rühm, der ebenfalls in Berlin war, unterstütze Brus in seinen Anfängen. Auch HC Artmann fequentierte neben dem „Exil“, die „Paris Bar“ und den „Zwiebelfisch“, alles Lokale, in denen sich österreichische Künstler trafen.

Brus begann in seiner Berliner Zeit intensiv zu zeichnen. Es entstanden die sogenannten „Bilddichtungen“, die bis heute für den Künstler eine Art Lebensausdruck sind. Bilder, Rechnungen, Träume, Notizen des Alltags sind Anlass für Zeichnungen die mit Texten hinterlegt werden. Mehr als tausend Schulhefte hat Günter Brus mittlerweile mit seine Aphorismen und Skizzen vollgeschrieben.

In Berlin entstand 1970 auch die Zeitschrift „Schastrommel“, das „Organ der österreichischen Exilregierung“. 17 Ausgaben erscheinen bis 1975 sie von der Zeitschrift „Drossel“ abgelöst wird. Ausgaben der Exilzeitschrift sind im Belvedere 21 zu sehen, genauso wie der gezeichnete Roman „Der Irrwisch“ von 1971.

Auch die Zusammenarbeit von Günter Brus mit zahlreichen Theater-und Opernproduktionen kann man im Belvedere 21 gut nachvollziehen. Unter anderem werden Kostümzeichnungen zu Janáceks „Schlaues Füchslein“ gezeigt.

Zuletzt sei auf den Zyklus „Meerschweinchen-Experiment“ von 1971 verwiesen. Dabei zeichnet Brus (s)einen erigierten Penis in der Anordnung von Apparaturen und Meerschweinchen. Er zeichnet dabei Konstruktionen, die, würden sie sich in Bewegung setzen, zum Tod des Meerschweinchens führen würden.

Der Schwarze Humor dieser Arbeiten steht in der langen österreichischen Tradition eines Franz Kafkas, eines Hermanovsky Orlando oder eines Alfred Kubin. Interessant ist, dass man bei Betrachten dieser Arbeiten an eine andere österreichische Künstlerin denkt, nämlich an Birgit Jürgenssen. Auch sie schuf detailgenaue Buntstiftzeichnungen möglicher menschlichen Torturen, die ebenfalls in den 1970er Jahren entstanden.

Die Ausstellung Günter Brus im Belvedere 21 bietet eine Fülle von Möglichkeiten, sich anhand dieses Künstlers mit österreichischer und internationaler (Kunst)Geschichte auseinanderzusetzen.

Mehr Texte von Susanne Rohringer

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Günter Brus - Unruhe nach dem Sturm
02.02 - 12.08.2018

Belvedere 21
1030 Wien, Schweizergarten/Arsenal-Straße 1
Tel: +43 1 795 57-0
Email: info@belvedere.at
http://www.belvedere21.at
Öffnungszeiten: Mi-So 10-18 h, Mi, Fr bis 21 h


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