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Panoramen und die ÖBB

Illusionen sind etwas schönes. Besonders wenn sie umfassend sind. 1825 malt Johann Michael Sattler das nach ihm benannte Panorama. Es ist eine Rundum-Ansicht der Stadt Salzburg mit ihrer Umgebung. Wer erfreut sich nicht dieses faszinierenden Blicks? Alles zu sehn und nicht gesehn werden, - das entspricht der gemeinen Herrschaftssehnsucht im erwachenden, bürgerlichen Zeitalter. Und mancher uneingestandener Selbstüberschätzung bis heute. Daneben prickelt die Empirie. Verlässlich wie nie zuvor in der Kunstgeschichte geben Rundansichten detailliert Auskunft über die Topografie. Sattlers Blick nach Süden zeichnet die Ausläufer der Stadt, die Herrenhäuser und Villen mit Gärten. Im Hintergrund das Massiv des Hochkönig. Zumindest bis zur Erfindung der Fotografie erfreuen sich Panoramen ungetrübter Beliebtheit. Dann versackt das Interesse. Weil sie von der Präzision der Fotografie übertroffen werden und weil andere Medien hinzutreten. Zum Beispiel mobilisiert die Eisenbahn. Der zentrierte Augenpunkt ist plötzlich passé. Statt der Stativ-Schau das Vorbeziehen der Landschaft. Heute sind Panoramen so gut wie verschwunden. Nun wird - just für die Bahn - ein neues Format erfunden, das an das alte anknüpft.

 

Die ÖBB macht es der Schweizer Bahn nach und beklebt die WC-Anlagen ihrer railjets mit Bildmotiven. Natürlich müssen es Landschaften sein. Sie sind ein Unbedenklichkeitsgarant. Natürlich müssen es Fotos sein, die Fotografie ist die Kulturtechnik der simulierten Glaubwürdigkeit. Natürlich muss es Photoshop sein, die Tapeten dürfen weder brüskieren noch diskriminieren, nicht mal identifizierbar sein. Das, was Kunst heute oft ausmacht, Ortsbezug, muss draußen bleiben. Online findet eine Abstimmung über das beste Sujet statt. Da es nicht um Kunst geht, vielleicht sogar das Gegenteil von ihr, ist Demokratisierung des Geschmacks zulässig. Aber befremdlich ist die Sache dennoch. Es fängt damit an, dass ausschweifende Blicke in Kleinräumen irritierend sind. Sie verursachen Agoraphobien in klaustrophobischer Enge. Bedenklich ist auch die Überdosis an optischen Geschmacksverstärkern: bizarre Bergketten in eiskaltem Blau, schattige Wälder im Raureif, saftige Almen und schindelgedeckte Dächer, die sich vor Wind und Wetter ducken. Das alles ist schön, aber humorlos, besonders in einem Umfeld mit unausweichlichem Schamfaktor. Der Stil dieser Bilder am Unort - oder der vom Publikum gewünschte – erinnert an die Ästhetik von Mateschitz’ Servus-Magazin, die Illusion von der heilen, vorindustriellen Welt. Dessen Red-Bull-Konzern hat seinen Hauptsitz übrigens nur wenig östlich von Sattlers Südansicht. Fuschl mit ähnlicher Naturkulisse war schon für die Sissi-Verfilmungen beliebt. Schließlich bleibt noch die Frage des Blicks an einem Ort in der Eisenbahn, an dem die Außenwelt blockiert ist. Der einzige Hinweis auf den tatsächlichen Nutzen des Tapetenzimmers sind die Lüftungskästen, Abfalleimer, Piktogramme, Klopapierrollenhalter. Sie sind die Intarsien in der hygienischen Wunderkammer und Readymades in einer süffigen Retinalwelt, die nichts anderes als schön sein will, aber das ist immer zu wenig.

 

ABB: ÖBB: Wandverkleidung railjet WC-Anlagen, 2017

ABB: Johann Michael Sattler: Panorama, 1825-1829, Öl/Lw, 486 x 2553 cm (Detail), Salzburg Museum

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Ich hätte es ...
Walter Stach | 20.09.2017 01:43 | antworten
... nicht treffender formulieren können.

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